Mozart´s Tempo-System |
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Das Tempo in Mozarts und Haydns Chorwerken Erschienen in "CHOR und KONZERT", Informationen des Verbandes Deutscher KonzertChöre, Heft 3/2004 und 1/2005 Teil I: Musikalische Zeit "Wobey
das wahre Mouvement
eines musicalischen Stückes zu erkennen sey? allein, solch
Erkenntniß gehet über alle Worte, die dazu gebraucht
werden könnten: es ist die höchste Vollkommenheit der
Ton-Kunst, dahin nur durch starcke Erfahrung und grosse Gaben zu
gelangen stehet."(1)
So hübsch übersetzte Johann Mattheson 1739 in seinem
Lehrbuch "Der vollkommene Capellmeister" eine Passage Jean
Rousseaus von 1678. Eine Weisheit, die auch heute noch gilt: das
Tempo bestimmt zwar den Charakter eines Musikstückes fast mehr
als alles andere, und ist doch von allen Dimensionen der Tonkunst die
am schwersten exakt festzulegende, die ungreifbarste und auch die
persönlichste. Was aber
meinte der Komponist? In
Bezug auf Haydn und Mozart steht diese Frage seit 200 Jahren. Die
Komponisten schrieben die Noten für Musiker ihrer Zeit als
eine
Art detaillierteres Kochrezept zur Realisation des von ihnen
ausgedachten Musikstücks. Sie konnten erwarten, dass die
Ausführenden diese Noten gemäß der damals
üblichen
Aufführungspraxis in Klang umsetzen würden, dass sie
sozusagen unter Verwendung der saisonalen Zutaten vom Markt ein
schmackhaftes Gericht bereiten würden. Sie schrieben nur das
auf, was für die Zubereitung unerlässlich war, die
Beschreibung des Wasserholens konnten sie sich sparen. Die erste
Regel des Musizierens war
damals ein im Sinne der Rhetorik deutlicher, "logisch richtiger"
Vortrag. Dieser war Aufgabe des Interpreten, von dem erwartet werden
konnte, jedes vorgelegte Stück in richtiger Bewegung
und Phrasierung, mit der dem Stück
angemessenen Schwere
oder Leichtigkeit der Spielweise, mit "Licht und
Schatten" in bezug auf Lautstärke-Details,
in
sprachähnlicher Artikulation und Betonung,
mit
"Schönheit", d.h. den angemessenen Verzierungen,
in dem vom Komponisten gewünschten Ausdruck
vorzutragen.
Die Kenntnis aller dieser Feinheiten musste vorausgesetzt werden,
weil die Notenschrift exakt nicht mehr festlegen kann als
Tonhöhen,
Harmonie, Takt, Rhythmus, Instrumentation, und bis zu einem gewissen
Grad die relative Lautstärke. Bei den Vorschriften
für
Artikulation und Phrasierung hört die Exaktheit schon auf. "Die Zeit,
das ist ein
sonderbar Ding" lassen Richard Strauß/ Hugo von
Hofmannsthal die Feldmarschallin im "Rosenkavalier" singen;
sie findet, dass sie manchmal schnell und manchmal langsam geht.
Jeder kennt das. Wenn man glücklich ist, "vergeht sie wie
im Fluge", "verweile doch, du bist so schön!" -
und in der Rückschau scheint die glückliche Stunde
wie ein
ganzer Tag. Wenn man im Stau steht, "wird einem die Zeit lang",
sie zieht sich wie Gummi; in der Erinnerung schnurrt sie dann
zusammen zu nichts. Temps perdu. Beim
Empfinden der Zeit spielt das
Gedächnis eine bedeutende, wenn nicht überhaupt die
konstituierende Rolle. Man erlebt ja nicht isolierte Momente, sondern
eine Folge von Momenten, die im Innern für kürzere
oder
längere Zeit präsent bleiben, so daß wir
alle
weiteren Momente darauf beziehen. Augustinus schreibt in seiner
berühmten Abhandlung über die Zeit: "Wer ein
vertrautes Lied singt oder singen hört, erlebt in Erwartung
der
kommenden, in Erinnerung an die verklungenen Töne einen
Wechsel
der Gefühle und die Aufspaltung seiner sinnlichen Teilnahme."(3) Edmund Husserl
hat das - in verkürzter Wiedergabe -
folgendermaßen dargestellt: Sie waren
weit davon entfernt, alle
Tempi Europas über einen Kamm zu scheren. Johann Joachim
Quantz,
Flötenlehrer Friedrichs des Großen, hat zwar 1752 in
seinem berühmten "Versuch einer Anweisung die flute
traversière zu spielen" als groben Anhaltspunkt für
"junge Leute, die sich der Tonkunst widmen"
[!](6)
vier "Classen" von Tempi aufgestellt, die er - einigermaßen
realistisch - auf einen Puls von 80 Schlägen pro Minute
bezieht;
nirgendwo aber hat er behauptet, dass damals von Berufsmusikern so
undifferenziert gespielt worden sei. Im Gegenteil sagt er über
die Zeitmaße: "Es giebt zwar derselben in
der
Musik so vielerley, daß es nicht möglich seyn
würde,
sie alle zu bestimmen".(7) Mozarts und
Haydns zahlreiche und
vielfältige Tempobezeichnungen meinten nicht das Tempo als
reine
Funktion physikalischer Zeit, schon gar nicht die
Taktiergeschwindigkeit des Kapellmeisterarms. Wenn damals die Musiker
von "Mouvement" sprachen, verstanden sie darunter durchaus
auch die "Gemüths-Bewegung"(9).
"Bewegung" umfasste das Pulsen der Betonungen und
Unterbetonungen in einem dichteren oder weiteren Rhythmus, die
gestoßene oder gebundene, gewichtige oder leichte Spielart,
die
Cantabilität oder Spritzigkeit, das Fortschreiten der
Harmonien,
die Dichte des melodischen Geschehens, die dynamische Gestaltung,
kurz: alles, was den Raster der Zählzeiten mit Bedeutung
füllt,
alles, was geeignet ist, auch den Zuhörer zu bewegen - (dessen
Blutkreislauf und Atmung sich bekanntlich auf die "Bewegung"
der Musik einstimmen). Es war wohl
kein Zufall, dass ein
technisch brauchbarer Taktmesser erst erfunden wurde, als nach der
französischen Revolution unter den Händen Beethovens
und
der Romantiker sich auch das aristokratische Klassensystem der alten
Takt- und Tempoordnung auflöste. Als ganz Europa von Automaten
fasziniert war - wie das bei E.T.A. Hoffmann so schön
beschrieben wird - kurz vor Beginn der industriellen Revolution,
mußte 1816 wohl oder übel Mälzels Metronom
in die
Welt, das mittels einer einstellbaren Anzahl von Schlägen pro
Minute endlich die Musik messbar zu machen versprach. Teil
II: Doppelt so
schnell oder doppelt so langsam? Im ersten Teil dieses
Aufsatzes habe ich zu zeigen versucht, warum die nur an ihrem Inhalt
erfahrbare musikalische Zeit sich nicht auf die abstrakte Zeit der
Physik beziehen lässt. Im 18. Jahrhundert waren die Musiker
sich
dessen noch bewusst und die linkischen Versuche von Theoretikern, das
musikalische Tempo auf Pendelschwingungen oder naturalistisch auf
Puls, Atem oder physisches Schreiten zu beziehen, fanden unter den
großen Komponisten vor Beethoven keine Anhänger.
Alle
diese Methoden scheitern am geistigen Wesen des musikalischen Tempos.
Man kann beim Gehen Musik in einem ganz anderen Tempo als dem
"Andante" der Beine denken und der erhöhte Puls beim
Probespiel darf nicht ins Tempo einfließen. Musik schafft ein
Reich geistiger Bewegung, und um diese,
das
"Mouvement", nicht um die uns so sehr beschäftigende physikalische
Geschwindigkeit, geht es bei den "Tempo"-
oder besser gesagt: "Vortrags"-Anweisungen des späteren
18. Jahrhunderts.
I. Tempobezeichnung durch Taktart Wie
bestimmten Haydn und Mozart
dieses "Mouvement"? Ihr komplexes, logisches, sehr
feinstufiges "Tempo"-System gründete in erster Linie
auf den "natürlichen Tempi der Taktarten".(14)
Ausnahmslos alle Lehrbücher des 18. Jahrhunderts sagen, dass
(bei gleichem Tempowort) die kleinen Taktarten schneller gespielt
wurden als die größeren: 3/8 schneller als 3/4; 4/8
schneller als 4/4, 2/4 schneller als 2/2 (¢). Auch verstand
sich
von selbst, dass (bei gleichen vorherrschenden Notenwerten) die
Taktteile von Dreiertakten schneller "gingen" als die von
geraden Takten.(15)
Diese "von Natur aus" unterschiedlichen Tempi der Taktarten
werden in heutigen Aufführungen selten
berücksichtigt, wo
ein Andante 3/8 oft ebenso langsam genommen wird wie ein Andante 3/4,
und dieses ebenso langsam wie ein Andante 4/4. 3) Beim
4/4-Takt herrschte in der
Kirchenmusik nördlich der Alpen bis in die 1770er Jahre der
langsamere "große" 4/4 mit seinen vier
Taktschwerpunkten vor.(17)
Unterm Einfluss der virtuosen italienischen Instrumentalmusik und
Oper machte ihm danach zunehmend ein leichterer, schnellerer
konzertanter 4/4 Konkurrenz, der - zusammengesetzt aus 2/4+2/4
-
mit seinen nur zwei Hauptbetonungen pro Takt bei den Klassikern (und
bis heute) zur Norm wurde.(18) II. Tempobezeichnung durch Notenwerte Außer durch die Taktarten wurde das Tempo durch die im Stück vorkommenden kleinsten temporelevanten Notenwerte bestimmt. Bei gleichem Tempowort war die Bewegung eines Stückes schneller, wenn es nur Viertel und Achtel enthielt, als wenn viele 16tel oder gar 32tel vorkamen. Taktart und schnellste Noten (21) definierten zusammen das "tempo giusto"(22). III. Tempobezeichnung durch Tempowörter Erst an dritter Stelle folgten dann Modifikationen dieses "tempo giusto" durch die italienischen Tempowörter, deren Bestimmungsgenauigkeit (Allegro="fröhlich", Largo="breit", Adagio="bequem", Andante="gehend" - wie schnell auch immer!) weit hinter den Angaben aus Taktart und Notenklasse zurücksteht, sodass sie im Lauf der Zeit manchen Bedeutungswandel durchmachten. "Adagio" und "Andante" wurden im 19. Jahrhundert immer langsamer, das "Allegro" immer schneller - letzteres noch bis heute. Mozarts Reihenfolge ist: Largo, Adagio, Larghetto, Andante, Andantino, Allegretto, Allegro, Allegro molto, Allegro assai, Presto, Prestissimo. Er präzisierte sie - ebenso wie Haydn - oft durch Zusatzangaben für Spielart und Charakter und kam so, wie schon erwähnt, auf fast 100 Bezeichnungen. Die Tempobestimmung bei Haydn und Mozart Johann Philipp Kirnberger hat dieses im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts ausgebildete "Tempo"-System sehr prägnant beschrieben: "Also wird das Tempo giusto durch die Taktart und durch die längeren und kürzeren Notengattungen eines Stücks bestimmt. Hat der junge Tonsetzer erst dieses ins Gefühl, denn begreift er bald, wie viel die Beywörter largo, adagio, andante, allegro, presto, und ihre Modificationen wie larghetto, andantino, allegretto, prestissimo, der natürlichen Taktbewegung an Geschwindigkeit oder Langsamkeit zusetzen oder abnehmen, und er wird bald im Stande werden, nicht allein in jeder Art von Bewegung zu componiren, sondern auch also, daß die Bewegung von denen, die es vortragen, alsobald und richtig getroffen werde."(23) Deutlicher kann man es nicht sagen: entgegen unserem Usus sind die Tempowörter für sich alleine noch keine "Tempobezeichnungen" und lediglich beim neutralen 4/4-Takt beziehen sie sich auf die Zählzeiten.(24) Sie sind nur Teil eines Moduls aus Taktart + Notenklasse + Tempowort, das Geschwindigkeit, Betonungsordnung, Charakter und Spielart, den Vortrag also als Ganzen, bestimmt. Natürlich haben die Komponisten von diesem System individuellen Gebrauch gemacht und es ist unabdingbar, die spezielle Methode eines jeden anhand seines Gesamtwerks zu untersuchen. Für Mozart ist dies inzwischen anhand einer Datenbank aller 2.569 Stellen, an denen er eine neue Taktbewegung angibt, in Arbeit. Er verfügt über einen Vorrat von über 300 der beschriebenen "Tempo"-Module. Doppelt so langsam ? Die in den 1980er Jahren von Talsma, Erig, Wehmeyer und anderen entwickelte "Metrische Theorie", wonach alle - oder wahlweise auch nur die schnellen - klassischen Tempi doppelt so langsam zu verstehen seien (zwei Pendelschläge pro Zählzeit), haben Peter Reidemeister und andere schon 1988 absolut bündig widerlegt (25). Mälzel selbst und Carl Czerny, unzweifelhaft kompetenter Anwender seines Metronoms, sowie die Musiktheoretiker Mersenne, Choquel, Pajot, Gabory, Gottfried Weber und Adolf Bernhard Marx sagen dazu unmissverständlich, dass die vom Komponisten für einen bestimmten Notenwert angegebene Metronomzahl sich auf EINEN hörbaren Tick des Metronoms, bzw. EINE Schwingung des Pendels nach rechts (bzw. links), bezieht. (Zitate unter "Metronom") Besonders absurd die Anwendung auf Haydn und Mozart: sie brauchten noch kein Metronom. Das Verständnis für ihr hoch entwickeltes Tempo-System hat aber unter seiner Einführung schwer gelitten. Doppelt so schnell ? Ein spezielles Problem der Taktnotierung bleibt nachzutragen: das Chaos um den aus der Mensuralmusik überkommenen "tactus-alla-Breve". Die meisten Lehrbücher schrieben, der ¢ sei "doppelt so schnell" wie der C-Takt, - anspruchsloser Weise, ohne zu sagen, wie schnell dieser denn war? "Der ordentliche Werth [des C] muß aus dem Gebrauche erlernet werden, da der Pulsschlag so wenig eine unfehlbare Regel ist, als der Schritt eines Menschen."(27) Leopold Mozart seufzte 1756, "bey der alten Musik war alles in großer Verwirrung", "schimmlichtes Zeug"(28). Nach 1770 wurde der Alla-Breve der Lehrbücher nur noch für Chor-Fugen im "stile antico" verwendet. Haydn schrieb mit Rücksicht auf die Tradition noch das "Gratias" der "Cäcilien"-Messe von 1766/1773 in dieser Taktart, Mozart das großartige "Cum Sancto Spiritu" der c-moll-Messe KV 427, die "Laudate Pueri" in KV 321 und 339, das "Pignus" in KV 125, sowie die vier Fugen über "Et vitam". Sie müssen in der Tat recht schnell gesungen werden, sollen die ganzen Noten nicht wie slow motion klingen; Leopold Mozart bezeichnet das ¢ seiner "Kyrie"-Fuge in der Missa C-Dur sogar mit "Presto".(29) Gilt das "doppelt so schnell" aber - wie behauptet wird - für alle Alla-Breve-Sätze? Druckfehler Kompliziert wird die Diskussion des Problems durch zahllose Fehler in den Drucken, sowohl alten, (über die Loulié, Janowka, Saint-Lambert, Samber, Heinichen, Marpurg, Koch und Kürzinger heftig Klage führten,) wie neueren, sogar in "Urtext"-Ausgaben. Zahllose falsche Takt- und Tempobezeichnungen in der Alten Mozart Ausgabe, die 100 Jahre lang Mozarts Tempi entstellten, geistern noch durch die praktischen Ausgaben und selbst in der sonst so vorbildlichen Neuen Mozart Ausgabe sind nicht von Mozart stammende Bezeichnungen (sogar Herausgeber-Zusätze) keineswegs immer (z. B. durch Kursivdruck) gekennzeichnet. Bei 63% aller Tempobezeichnungen der Kirchenwerke in der NMA bemüht sich der Interpret ganz umsonst, das angegebene Tempo zu treffen - es ist nicht von Mozart! Besonders bei Werken vor 1777 ist daher ein Blick in Vorwort und Kritischen Bericht der NMA unerlässlich, wenn sie auch nicht immer Aufschluss geben.(30) Kein Unterschied zwischen ¢ und c ? Bei dieser Sachlage ist es kein Wunder, dass viele die Meinung vertreten, bei Mozart gäbe es gar keinen Unterschied zwischen ¢ und C. In Briefen an den Vater (31) spottet er aber über einen Flötisten, der bei einem Adagio mit dem begleitenden Orchester nicht zusammenfand, "weil das stück in vierviertelstackt geschrieben war, und er es im Alla Breve bließ - und, da ich dann mit eigner hand Alla Breve dazu schrieb, er mir gestund, daß Papa in Salzburg auch darüber gezankt hätte." Und über den "Ciarlattano" Clementi: "er schreibt auf eine Sonate Presto auch wohl Prestißimo und alla Breve. - und spiellt sie Allegro im 4/4 tackt". Die von Robert Donington zusammengestellten Aussagen von Theoretikern des 17. und 18. Jahrhunderts, das Zeichen ¢ bedeute "somewhat faster" als C (32), treffen auf Haydns und Mozarts Werke für Oper, Kammer und Konzert genau zu, bei Haydn auch auf die späten Messen. Der "Allabrevestyl der Fuge", kommt dort nicht mehr vor. ¢ wird nun im "stile moderno" als "großer" Takt verstanden, der zwar mit seinen nur zwei Taktteilen kürzer, im Tempocharakter aber langsamer und schwerer ist als der vierzeitige zusammengesetzte 4/4 (2/4+2/4).(33) Der Vergleich von fast jedem ¢-Satz Mozarts und Haydns mit fast jedem ihrer 4/4-Stücke mit gleichem Tempowort zeigt neben unterschiedlicher Spielart (schwer oder leicht) und anderer Metrik (1 oder 2 Hauptschwerpunkte) eindeutig das verschiedene Tempo der beiden Taktarten. Faustregel für das Verhältnis von ¢ zu c (außer im stile antico) Im
Quervergleich durch alle Klassen
von Tempowörtern bei Mozart (und ähnlich bei Haydn)
lässt
sich in Bezug auf die reine Geschwindigkeit
folgende grobe
Faustregel aufstellen: ein ¢-Takt entspricht einem 4/4-Takt
der
jeweils nächst höheren
Tempostufe, also: Vortrag Warum haben Mozart und Haydn dieses komplizierte System nicht vereinfacht? Der Grund ist, dass alle diese Taktarten, Notenklassen und "Beywörter" unterschiedlichen Vortrag fordern: "Je größer die Takttheile oder Hauptzeiten einer Taktart sind, je schwerer muß der Vortrag seyn. So wird z.B. ein Tonstück im 3/2 weit schwerer vorgetragen, als wenn es im 3/4 oder wohl gar im 3/8 stände." - "Verschiedene Notengattungen erfordern, auch ohne Rücksicht der Taktart, einen mehr oder weniger schweren Vortrag."(34) - "Soll nun ein Stük einen leichten Vortrag, zugleich aber eine langsame Bewegung haben, so wird der Tonsetzer[...] einen Takt von kurzen [...] Zeiten dazu wählen, und sich der Worte andante, oder largo, oder adagio etc. [...] bedienen; und umgekehrt: soll ein Stük schwer vorgetragen werden, und zugleich eine geschwinde Bewegung haben, so wird er einen [...] schweren Takt wählen, und ihn mit vivace, allegro oder presto etc. bezeichnen."(35) Die unterschiedliche Spielart der Taktarten ist also neben den unterschiedlichen Akzentordnungen der Hauptgrund für die so reich differenzierten Bezeichnungen des "mouvement", bei denen es Mozart und Haydn nicht nur um die physikalische Geschwindigkeit ging, sondern um das, was in der Zeit passiert, um den "logisch richtigen Vortrag" als Ganzes. Innerhalb dieses Systems kann sich der heutige Interpret gemäß seinem Temperament und seinen Aufführungsbedingungen frei bewegen, um "dem Zeitablaufe durch eine ganz eigentümliche lebensvolle Messung Wachheit, Geist und Kostbarkeit zu wecken". **** >>> Ihre Meinung über meine Theorien, Ihre Anregungen, Einwände, Kommentare wären höchst willkommen. Die neuen Antworten auf die 200 Jahre alten Fragen, die ich zu geben versuche, könnten sehr von einer breiten Diskussion profitieren. Ich freue mich auf Ihre Mails! Zurück
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